Mittwoch, 24.07.2019 - 6.00 Uhr - Weiterfahrt von Niederfinow nach Stettin
Eigentlich hatten wir für heute Morgen unseren Wecker gestellt, doch das fleißige Werkeln der Crew auf dem Sonnendeck weckte uns bereits um 5.30 Uhr. Aufgrund des niedrigen Schleusentores im Schiffshebewerk Niederfinow mussten heute Morgen sämtliche Brüstungen abmontiert werden und auch aus dem absenkbaren Führerhaus war heute kein Steuern möglich. So treffen wir an den Eingängen nicht nur auf ein paar interessierte Mitreisende, sondern auch auf unseren Kapitän, der die MS Saxonia von einer Console am Einstieg aus in den Trog des Schiffshebewerks steuern wird.
Bevor wir uns jedoch in Bewegung setzten, nimmt uns ein freundlicher Mechaniker der Crew bis zum Bug des Schiffes mit, um das vor uns liegende Hebewerk in der Morgendämmerung fotografieren zu können. Nachdem die Tore geöffnet sind und das Einfahrsignal grün leuchtet, müssen wir jedoch den Bug verlassen, denn unser Schiff fährt vom Startplatz aus ganz langsam und vorsichtig in den geöffneten Trog.
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Der Schiffstrog hat eine Nutzlänge von 85 Metern und ist der bewegliche Teil des Hebewerkes. Nachdem die Treidler die MS Saxonia am Trog festgemacht haben, schließen sich die Tore und die mechanische Verriegelung zwischen Trog und Landanschluss wird gelöst.
Nun befinden wir uns in dem riesigen Stahlkoloss mit unserer Schiffswanne.
Der Trog hängt jetzt frei an den Seilen und ist fahrbereit. Nach Ertönen des Signals setzt sich der „Aufzug für Schiffe“ nach unten in Bewegung.
Das Überwinden des Höhenunterschieds von 36 Metern dauert gerade einmal 5 Minuten, dazu braucht es 256 Draht-Seile mit 192 Gegengewichten, die den 4300 Tonnen schweren Trog inklusiv Schiff und Wasser wie ein Fahrstuhl abwärts hieven.
Die Tore werden wieder hochgefahren und unser Schiff erhält „Grün“. Die Leinen werden vom Trog gelöst und das Schiff fährt aus und gelangt in den Vorhafen. Mit den Ein- und Ausfahrtmanövern benötigte die MS Saxonia ca. 20 Minuten für die Durchfahrt. Damit wir das gigantische Bauwerk nun in aller Ruhe betrachten können, bleibt das Schiff noch etwas im Vorhafen liegen und die Crew hatte in Windeseile die Brüstungen wieder montiert und so durften wir aufs Sonnendeck.
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Von der Morgensonne angestrahlt liegt das 60 Meter hohe technische Meisterwerk vor uns. Nur sieben Jahre brauchten die Konstrukteure, um das Schiffshebewerk in einer Breite von 27 Metern und einer Länge von 94 Metern fertigzustellen. Am 21. März 1934 wurde das Schiffshebewerk Niederfinow eingeweiht und dem Verkehr übergeben. Seit jenem Tag hat es, von wenigen Unterbrechungen abgesehen, unentwegt seinen Dienst getan. Dieses kühne Bauwerk – Europas größter Schiff-Fahrstuhl - besteht aus gewöhnlichem Baustahl, der von über fünf Millionen Nieten zusammengehalten wird.
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Man sieht dem Industriedenkmal seine Jahre nicht an, doch parallel zum bisherigen Hebewerk wird seit Herbst 2006 in einem neu angelegten Kanalabschnitt bereits das neue Schiffshebewerk gebaut. Der neue Trog, der dann für größere moderne Güterschiffe geeignet ist, bekommt eine Nutzlänge von 115 Metern, ist 12,5 Meter breit und soll eine Tiefe von vier Metern erhalten. Es ist das Schiffshebewerk der Zukunft und soll das jetzige spätestens ab 2025 ersetzen. Das alte Schiffshebewerk, als geschütztes Industriedenkmal, bleibt darüber hinaus als Denkmal erhalten.
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Der Anblick dieser zwei gigantischen Bauwerke vor einem strahlend blauen Himmel ist heute Morgen schon ein besonderes Highlight. Der Morgennebel liegt noch über der Landschaft, dazu die Stille rings um uns – wann wurden wir das letzte Mal so wundervoll für ein frühes Aufstehen belohnt? Doch dann wird der Motor angeschmissen und die MS Saxonia fährt dem Licht der Sonne entgegen, um uns zu weiteren schönen Plätzen in Deutschland bringen. Wir gehen jetzt erst einmal zum Frühstück, während die Crew fleißig Tische, Stühle und die Liegen wieder aufbaut, um uns einen angenehmen Tag an Deck zu bieten.
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Direkt nach dem Frühstück fahren wir vorbei an den Ort Hohensaaten und steuern danach die Westschleuse Hohensaaten an. Nach dem Bau des Oder-Havel-Kanals wurden von 1910 bis 1914 zwei neue Schleusen, die Ost- und Westschleuse errichtet. So besteht an dieser Staustufe eine bundesweit einmalige Situation, denn diese beiden Schleusen schleusen in entgegengesetzter Richtung. Während die Ostschleuse bergwärts schleust, geht es in der Westschleuse talwärts in die Hohensaaten-Friedrichsthaler Wasserstraße.
Hier ist die Oder bis zur Mündung in das Stettiner Haff 2-4 km breit, durchsetzt mit Sümpfen und Altwässer. Parallel erstreckt sich der Nationalpark „Unteres Odertal“ und auf polnischer Seite ein Naturpark.
Um 10.00 Uhr erfolgt der Aufruf „alle Reisende zur Sicherheitsübung auf das Sonnendeck“. Dort üben wir das Anlegen der Rettungswesten und erhalten von unserem Kapitän zusätzliche Informationen. Zwischendurch schweift der Blick hinüber zum "Stolper Turm", dem Wahrzeichen des kleinen Ortes Stolpe. Der so genannte „Grützpott“ ist ein Rest des Bergfrieds der Burg Stolpe auf einer Anhöhe an der Oder. Nach der Übung machen wir es uns ohne Rettungswesten auf dem Sonnendeck gemütlich.
Bei Flussfahrten gefällt uns ganz besonders, dass man das Land immer im Blick hat und die Landschaft genießen kann. Eine Flussfahrt ist eine entschleunigende Variante und Balsam für die Seele, denn die Hektik des Alltags wird ausgebremst.
Gemütlich fährt die Saxonia an der Gemeinde Criewen vorbei. Der Ort wurde erstmals 1354 urkundlich erwähnt und ist somit eines der ältesten beurkundeten slawischen Fischerdörfer. Da das Sonnendach noch nicht wieder aufgebaut wurde, die Sonne aber unbarmherzig vom Himmel brennt, sitzen wir wieder unter den aufgespannten Phoenix-Schirmen und betrachten die naturnahe Auenlandschaft. Dieses Gebiet wurde 1995 zum Nationalpark Unteres Odertal erklärt, denn es bietet einem Reichtum an Flora und Fauna, der in Mitteleuropa äußerst selten ist.
Kurz vor dem Mittagessen gleiten wir an der Nationalparkstadt Schwedt vorbei. Unser Reiseleiter erklärt uns die verschiedenen Sehenswürdigkeiten, die wir vom Wasser aus betrachten können. Kurz nach dem Mittagessen legen wir in Mescherin an.
Von hier startet der Busausflug nach Stettin. Mit einer kleinen Gruppe, die Stettin auf eigene Faust erkunden wollen, sitzen wir bei der Weiterfahrt gemütlich auf dem Sonnendeck. Mit einem interessanten Reiseführer über Stettin und einem perfekten Service auf dem Sonnendeck bereiten wir uns auf unseren ersten Landgang gegen 16.30 Uhr vor. Doch kurz vor Stettin stoppt der Kapitän das Schiff vor der Eisenbahnklappbrücke bei Podjuchy und uns erwartete eine weitere Hiobsbotschaft. Von unserem Kapitän wurden wir darüber in Kenntnis gesetzt, dass sich die Weiterfahrt um 1 ½ Stunden verzögern wird, da wir auf das Öffnen der Eisenbahnbrücke warten müssen.
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Dieses Baudenkmal wurde 1877 über die östliche Oder erbaut, 1945 von den Deutschen gesprengt und 1949 von den Polen wieder aufgebaut. Sie ist die einzige aktive Brücke dieser Art in Polen und die Einzige mit mechanischem Antrieb in Europa. Statt um 16.30 Uhr in Stettin anzulegen, konnten wir erst um 17.15 Uhr durch den geöffneten Bereich der Brücke hindurchfahren und kamen somit erst um 18.30 Uhr in Stettin an, wo die Ausflügler schon auf die Ankunft des Schiffes gewartet hatten. Direkt vor dem Städtischen Museum und der Hakenterrasse macht das Schiff fest. Gemeinsam gingen wir nun erst einmal zum essen, danach besichtigten wir Stettin im Schnelldurchgang, solange es noch hell war. Die Stadt mit rund 410.000 Einwohnern ist die Hauptstadt der Woiwodschaft Westpommern und nach Danzig der zweitwichtigste Hafen Polens. Die Hakenterrassen, vor denen wir angelegt hatten, ließ der damalige Bürgermeister Haken zwischen 1900 und 1905 mit großen Teppen, Springbrunnen und Aussichtspavillions bauen. Sie waren damals wie heute die Visitenkarte der Stadt für die ankommenden Schiffe auf der Oder.
Über eine breite Freitreppe gelangen wir auf die 500 m lange Flaniermeile, die uns zum Siebenmantelturm bringt.
Der Frauen- bzw. Siebenmantelturm ist einer der Überreste der mittelalterlichen Stadtbefestigung aus dem 14. Jahrhundert, die eine Länge von etwa 2.510 m besaß und über vier Haupttore verfügte.
Bis 1723 diente der Turm als Gefängnis. 1944 durch Bomben zerstört wurde er jedoch wieder aufgebaut und 1954 unter Denkmalschutz gestellt.
Von hier geht es weiter zum Alten Rathaus. Es wurde im 15. Jahrhundert auf den Überresten eines älteren Gebäudes aus dem vorherigen Jahrhundert errichtet. Da nach dem Zweiten Weltkrieg die Altstadtbebauung zu 90 % zerstört war, wurde auch dieses Gebäude im Jahr 1968 neu errichtet. Es erhielt jedoch das Aussehen aus dem 15. Jahrhundert und auch die gotischen Schmuckelemente der übrigen Außenwände wurden ebenfalls rekonstruiert.
In den Kellergewölben wurde früher eine bekannte und bei den Einwohnern der Stadt beliebte Weinstube mit Restaurant betrieben.
Auch heute befindet sich in dem mit einem schönen Sterngewölbe überdeckten Rathauskeller ein stilvoll eingerichtetes Restaurant, während die übrigen Etagen als Museum genutzt werden. Die Geschichte der Stadt wird dort aufgearbeitet.
Auf einer kleinen Anhöhe steht das Stettiner Schloss. Es ist eine ehemalige Residenz der Herzöge von Pommern. Bis zur schweren Beschädigung im Zweiten Weltkrieg war es das am besten erhaltene Schloss der während des Dreißigjährigen Krieges ausgestorbenen Greifenherzöge.
Nach den Kriegszerstörungen wiederaufgebaut, ist es heute nahezu im alten Glanz wieder rekonstruiert.
Wir gehen in den Innenhof, der von fünf Flügeln umgeben ist.
Die verschiedenen Räumlichkeiten wurden zum Sitz mehrerer Ämter und Kultureinrichtungen, u.a. des Kulturzentrums "Schloss der Pommerschen Herzöge". Im Schlossinnenhof gibt es Musik-, Film- und Theateraufführungen. Eine besondere Attraktion ist der Uhrenturm. In ziert eine astronomische Uhr aus dem 17. Jahrhundert.
Die beeindruckende Jakobskathedrale oder auch Jakobikirche von Stettin liegt bereits in der Abendsonne, als wir uns dieser größten Kirche Pommerns nähern. Sie wurde in Etappen vom 13. bis zum 15. Jahrhundert gebaut und nach schweren Zerstörungen im Zeiten Weltkrieg 1971 wieder instandgesetzt. Seit dem 12.01.2008 ist es das höchste Gebäude Stettins, denn an diesem Tag wurde auch ihr Turm rekonstruiert. Musikgeschichte schrieb die Kirche im Februar 1927, denn hier fand die öffentliche Erstaufführung der Ouvertüre zu „Ein Sommernachtstraum“ von Felix Mendelssohn Bartholdy statt.
Durch ein Straßen- und Häusermeer geht es weiter zum Hafentor. Das Prachttor befand sich bei seiner Erbauung zwischen 1725-1727 außerhalb der Stadt als Zugang zur Festung zwischen der Passauer- und der Königsbastion. Heute steht es allein an einer Straßenkreuzung.
Das Tor wurde von polnischen Restauratoren vorbildlich instand gehalten und hat einen reich dekorierten oberen Teil. Am 15. Juni 1966 brachte die Deutsche Bundespost eine Briefmarkenreihe „Deutsche Bauwerke aus zwölf Jahrhunderten“ heraus, auf der auch dieses Tor abgebildet ist.
Die Nacht legt sich schon langsam über Stettin, als wir die Peter und Paulkirche erreichen.
Sie ist ein gotisches Bauwerk und gilt als die älteste Kirche der Stadt und des christlichen Pommerns.
Sie geht in ihrer Gründung auf das beginnende 12. Jahrhundert zurück.
Zurück auf den Hakenterrassen mit dem imposanten Gebäude des städt. Museums hat sich unser Rundgang wieder geschlossen.
Da eine der zahlreichen Bänke auf der Promenade gerade frei wurde, setzten wir uns noch etwas und genießen den Blick über die Oder, dem Hafen und hinüber auf die Insel Lastadie, wo das größte Riesenrad Polens steht.
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Bevor es zurück zum Schiff geht, schauen wir uns noch die wunderschön beleuchteten Fontänen an, die passend und synchron zu den Musikstücken bunt angestrahlt wunderschöne Musikeffekte bieten.
Das Spektakel aus Licht, Farbe, Musik und Wasser ist beeindruckend. Zurück auf dem Schiff genießen wir in gemütlicher Runde die letzte Stunde des Tages.
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