4. Tag - Wesel und Bislicher Insel
Von der Schönheit der ungewöhnlichen Landschaft begeistert, starten wir heute Morgen zu einer weiteren Tour um die weite niederrheinische Stromniederung mit dem breiten, hier ruhig dahinfließenden Rhein und seinen vielen verträumten Altrheinarmen zu erradeln. So geht es von unserer Ferienwohnung wieder hinunter zum Rheinanleger. Die kleine Personenfähre „Keer Tröch II“ bringt uns wieder geschwind über den Rhein, zum Anleger in Bislich. Der Ort ist auch heute Ausgangspunkt, denn man kann von hier in alle Richtungen über verkehrsarme Wege die Schönheit des Niederrheins kennenlernen.
Unsere heutige Tour geht rheinaufwärts über den Deich bis zur Hansestadt Wesel. Unsere Radroute führt uns vorbei an einigen Storchennestern und bietet uns dann einen ungehinderten Blick über das weite Wiesenland der Rheinaue.
Die malerische Naturlandschaft der Region findet hier ihre volle Entfaltung. Wir radeln über den Deich, der uns einen superglatten Asphalt bietet. Diese Deiche sind zum Hochwasserschutz errichtet worden und können als Radwege genutzt werden. Zur Erhaltung der Deiche sind bestimmte Pflegemaßnahmen nötig.
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Einen wichtigen Beitrag leisten dazu grasende Schafe, deren Blöken weit über die Deiche zu hören ist. Die Erfahrung zeigt: „Die Deichpflege mit Schafen festigt die Stabilität der Deiche“. Durch ihren tiefen Biss wird die Grasnarbe kurz gehalten und durch den Tritt der Tiere wird der Deich verfestigt. Daher ist Schafbeweidung „lebender Naturschutz“, der gut und preiswert ist. Ferner geben sie gute Milch und sind auch tolle Fleischlieferanten. Für uns haben sich die Schafe den besten Aussichtspunkt, ganz oben auf dem Deichkamm gesichert und stehen für uns Urlauber Spalier. Bei herrlichen Ausblicken auf den Rhein und die Rheinauen erreichen wir den Auesee, das beliebte Naherholungsgebiet der Kreisstadt Wesel. Der Auesee liegt direkt am Rhein und ist das Ergebnis der Auskiesung in den Rheinwiesen. Heute ist das gesamte Gebiet des Auesees für die Naherholung und Wassersport reserviert und teilweise als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Für uns geht es jedoch weiter.
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Vorbei am Weseler-Kanuclub führt uns der Fahrradweg zum Yacht- & Wassersporthafen-Römerwardt-Wesel, deren Einfahrt am Rheinkilometer 816,5 liegt. Im Hafen schaukeln die Boote, denn sanfte Wellen schwappen an die Burg und das Klingeln von Bootsmasten, die im Wind schwankten, klingt bis zu uns herüber.
Plötzlich kommt die Lust am Schauen auf und wir suchen uns einen Platz in der Sonne. Eine kleine Grünfläche bietet Logenplätze in erster Reihe. Unsere mitgeführte Notration wird ausgepackt und bei Speis und Trank genießen wir diese kurze Auszeit. Der hinter uns liegende Segelflugplatz bietet mit seinen Starts und Landungen eine weitere Abwechslung.
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Nach dieser Pause setzten wir unsere Fahrt entlang der Rheinpromenade fort. Ein besonderer Blickfang ist die am Anleger auf neue Gäste wartende „River Lady“. Dieses Schiff wurde nach originalen Bauplänen zu einem stilechten Mississippi-Dampfer umgebaut und ist seither ein besonderer Hingucker unter den vielen Ausflugsdampfern auf dem Rhein. Von ihrem Anleger an der Rheinpromenade in Wesel startet sie in der Saison fast täglich zu kurzen Rund- und Ausflugsfahrten. Gesehen haben wir die River Lady im vergangenen Jahr, als sie bei dem Schiffskonvoi „Rhein in Flammen“ neben uns fuhr. Schon damals ist uns dieser besondere Ausflugsdampfer aufgefallen und wurde von uns fotografiert.
Bei unserer Weiterfahrt treffen wir auf die Spuren der legendären Boxteler Bahn. Der alte Brückenpfeiler an der Weseler Rheinpromenade ist heute ein beliebter Aussichtspunkt.
Von hier hat man einen schönen Blick auf den Rhein und der beeindruckenden Rheinbrücke. Als neues Wahrzeichen der Stadt Wesel ragt der sogenannte Pylon (Pfeiler) mit gut 130 Meter Höhe aus der Landschaft.
Wir verlassen nun die Rheinpromenade und folgen dem Hinweisschild „Stadtmitte“. Weithin sichtbar ist der Turm des Willibrordi-Domes am "Großen Markt" im Herzen der Weseler Altstadt. Und so stehen wir kurze Zeit später auf diesem beeindruckenden Markt.
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Wesel, einst Hansestadt an Rhein und Lippe, hat sich mit der historischen Rathausfassade und dem Willibrordi-Dom sehenswerte Zeugen der Hansezeit erhalten und so ist der große Markt auch das historische Zentrum Wesels.
Der Willibrordi-Dom wurde von 1498 bis 1540 als spätgotische Basilika mit fünf Kirchenschiffen erbaut und 1947 aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs wieder aufgebaut und ist heute das Wahrzeichen im Herzen der Stadt. Die Ostansicht des Willibrordi-Doms am "Großen Markt" zeigt eine reiche Dachlandschaft und einen Chor-Dachreiter mit Glockenspiel. Von ihm erklingt fünfmal am Tag ein Glockenspiel. Überragt wird das Ganze von einem hohen Turm, dessen schlichter Helm 1978 unter großer Anteilnahme der Bevölkerung aufgesetzt wurde.
Besonders sehenswert ist das weiträumige, lichtdurchflutete Innere der Kirche. Sehenswert ist die große Orgel mit 56 Registern im Chorraum, die im Jahr 2000 errichtet wurde sowie das im südlichen Seitenschiff an der Westwand hängende neuzeitliche Kunstwerk der „Weseler Altar“ aus dem Jahr 1996.
Ein weiteres historisches Wahrzeichen ist das Rathaus. Es wurde in der Mitte des 15. Jahrhunderts errichtet und 1698/1700 erweitert. Auch dieses Rathaus, gleich neben dem Dom am großen Marktplatz, wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Erst 2011 wurde die Fassade durch eine Bürgerstiftung rekonstruiert.
Wir setzen unsere Stadtbesichtigung auf der neu gestalteten Fußgängerzone fort. Sie ist Flaniermeile und Prachtboulevard in der Innenstadt. Mit 700 Meter Länge und bis zu 20 Meter Breite zieht sich die City-Meile durch die Stadt und präsentiert sich frisch, hell und modern.
Entlang der Einkaufsmeile bietet der Weseler Einzelhandel einen guten Branchenmix mit rund 200 Geschäften. Die neugestaltete Fußgängerzone lädt zum Flanieren ein und bietet ein vielfältiges gastronomisches Angebot für die Pause zwischendurch.
Hier stoßen wir erstmals auf den berühmten „Esel“ aus Wesel. Inspiriert durch die Weseler Bürgermeisterfrage „Wie heißt der Bürgermeister von Wesel?“ – „Esel“, haben Künstler, Schulen, Kindergärten und Seniorenheime lebensgroße Esel-Skulpturen unterschiedlich gestaltet. Aufgrund dieses Scherzes hat die Stadt Wesel die Chance ergriffen und den Esel zu einem Werbesymbol gemacht und so ist die Stadt gespickt mit 111 bunten Eseln. Der Esel vor dem Cafe „Kuchenzauber“ lockte uns in die Außengastronomie, zumal wir gleich nebenan unsere Fahrräder gut sichtbar abstellen konnten. Eine große Kuchentheke im Inneren des Cafés ließ keine Wünsche offen und so hatten wir die Qual der Wahl bei den Torten nach Omas Rezept. In gemütlicher Atmosphäre mit leckeren Köstlichkeiten genießen wir diese weitere Pause.
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Wunderbar gestärkt starten wir danach wieder durch und bummeln weiter durch die Innenstadt mit Blick auf den Fernsehturm „Langer Heinrich“. Er hat eine Gesamthöhe von 158 m und ist der höchste Turm der Innenstadt. Mit dem Fahrrad setzen wir nun unsere Erkundungsfahrt zum Lutherhaus fort.
Das 1729 errichtete Lutherhaus ist eine ehemalige Kirche der "Lutherischen Gemeinde". Nach dem Zweiten Weltkrieg blieben nur die Umfassungsmauern und der Gewölbekeller stehen. Beim Wiederaufbau wurden die früheren Doppelemporen nicht wieder errichtet, sondern der Saal durch eine Zwischendecke geteilt.
Das Gebäude dient heute als Gemeindehaus; der Saal im Obergeschoss wird auch für Kammerkonzerte genutzt. 1982 wurde das Lutherhaus in der Liste der eingetragenen Denkmäler aufgenommen.
Unsere Fahrt geht weiter zum Kornmarkt. Er ist ein zentral gelegener Platz im historisch ältesten Teil der Weseler Innenstadt. Der Kornmarkt gilt als gastronomischer Schwerpunkt und durch die Außenbestuhlung im Sommer entsteht eine Art großer Biergarten.
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Mit einem Brunnen auf dem Kornmarkt hat die Stadt vor einem Vierteljahrhundert zwei echten Weseler Originalen ein Denkmal gesetzt: dem „Langen Heinrich“ und seinem Kumpanen, dem "Bienenkönig".
Wir radeln weiter durch die Stadt und stehen nun vor der Kirche St. Martini. Es ist ein schlichter Backstein-Bau, neben dem ein moderner Kirchturm wie eine spitze Pyramide in den Himmel ragt. Dabei geht die Martinikirche zurück auf eine Klostergründung im frühen 15. Jahrhundert. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg entstand 1947 bis 1949 die heutige Kirche an der Martinistraße.
Sie ist neben der St. Maria Himmelfahrt die zweite römisch-katholische Kirche in der Altstadt.
Nun fahren wir wieder Richtung Rhein, doch wollen wir vorher noch einen Blick auf die größte Festungsanlage im Rheinland werfen. Die Zitadelle entstand ab 1668 auf Befehl Friedrich Wilhelm I. von Brandenburg zum Schutz der Hansestadt. Den damals neuesten Entwicklungen entsprechend wurde sie in Form eines fünfzackigen Sternes angelegt, wobei auf jeder Zacke eine Bastion lag.
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Im Zweiten Weltkrieg wurde die Festung stark zerstört. Nach dem Krieg wurde sie teilweise wiederaufgebaut und steht jetzt unter Denkmalschutz. Erhalten ist das dreiflügelige Haupttorgebäude, das Offiziersgefängnis, die Garnisonsbäckerei No. II und die Kaserne No. VIII sowie das Körnermagazin. Heute wird die Zitadelle als Kulturzentrum genutzt. In den Gebäuden sind das Preußen-Museum, das städtische Museum, die Musik- und Kunstschule Wesel und das Stadtarchiv untergebracht.
Wir gehen durch das Südtor und stehen auf der gegenüberliegenden Seite vor dem Nordtor des dreiflügeligen Gebäudes. Am restaurierten Graben hinter der Zitadelle wurde außerhalb der Wälle eine kleine Parkanlage mit Ruhebänken angelegt. Ferner bietet sich ein Spaziergang entlang der imposanten Festungsmauern an.
Von hier ist es nicht mehr weit und wir stehen in unmittelbarer Nachbarschaft zur Lippe, die nach 220 Kilometern in den Rhein mündet. Es ist für uns ein besonderes Highlight, denn 2017 haben wir in Bad Lippspringe vor der Quelle gestanden. Ferner fließt die Lippe durch unsere Heimatstadt Hamm und nun stehen wir an der Mündung in den Rhein.
Von unserem Standplatz haben wir einen direkten Blick auf die reizvolle Auenlandschaft von Rhein und Lippe. Vom „Alten Wasserwerk“ an der Lippe schauen wir hinüber und sehen die neue imposante Niederrheinbrücke vor uns liegen. Am 30. November 2009 wurde die Brücke offiziell freigegeben. Die enorme Konstruktion aus Stahl und Beton kann sich sehen lassen. Sie ist 336 Meter lang und an ihrer Spitze 130 Meter hoch. Von diesem „umgedrehten Ypsilon“ verzweigen sich rote Rohr-Bündel einer besonderen Stahlseilkonstruktion zur Fahrbahn, die diese Brücke halten. Durch diese Konstruktion wird der Rhein pfeilerlos überbrückt. Die Brücke bietet vier Fahrstreifen sowie beidseitig kombinierte Fuß- und Radwege. Da das Bauwerk den Rhein sowie das zwischen den Hochwasserdämmen liegende Vorland überspannt, hat man von hier oben einen herrlichen Blick auf den Rhein mit der historischen Rheinbrücke im Hintergrund.
Wir fahren über die elegante „Niederrheinbrücke“ und setzten unsere Fahrt direkt am Rhein entlang fort, quasi auf Augenhöhe mit den großen Pötten auf Europas größter Wasserstraße. Nach wenigen Minuten stehen wir an der historischen Eisenbahnbrücke der „Boxteler Bahn“. Sie erinnert an den imposanten Brückenbau vergangener Zeiten. Von 1878 bis 1945 wurden auf dieser 101 Kilometer lange Trasse von Boxtel bis Wesel Personen, Post und Fracht transportiert.
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Im Zweiten Weltkrieg wurde die Eisenbahnbrücke zerstört und nach dem Krieg nicht wieder aufgebaut. Diese alten Viadukte auf der Büdericher Seite befinden sich in einem Naturschutzgebiet und sind heute als Baudenkmal geschützt. Bei herrlichen Ausblicken auf den Rhein geht es weiter über den Deich auf teils gepflasterten Wegen und später entlang unberührter bunter Wiesen.
Entlang von Höfen mit Storchennestern und idyllischen Schaf- und Rinderherden erreichen wir die Bauernschaft Perrich.
Unser Weg führt uns danach etwas weiter ab vom Rhein in den Bereich des Naturschutzgebietes Bislicher Insel. Mitten im Altrhein liegt südlich von Xanten die ca. 1200 ha große Bislicher Insel. Diese Insel entstand durch Flusslaufänderungen des Rheins. Zahlreiche durch Kiesförderung entstandene Gewässer liegen innerhalb des Grünlandbereiches. Der Altrhein und die angrenzende Bislicher Insel stellen eines der bedeutendsten Naturschutzgebiete am Niederrhein dar und bieten Lebensräume für viele verschiedene und seltene Tierarten. Diese Auenlandschaft dient als natürlicher Hochwasserschutz und hat als einzigartiges Feuchtgebiet einen besonderen Naturschutzwert. Bei solch einem Feuchtbiotop bleiben auch die Störche nicht aus. Wir entdecken von unserem Fahrrad mehrere Storchennester. Einige thronen auf hohen Masten – den eingerichteten Bruthilfsplätzen -, andere Vogelpaare brüten in den Baumwipfeln, oder haben sich auf Hausdächern niedergelassen. In vielen Nestern hat sich bereits Nachwuchs eingestellt, daher sieht man den Storch überall an den Bislicher Teichen, denn die Jungtiere brauchen Futter. Doch er muss sich seinen Platz mit dem gemächlich durchs Wasser schreitenden Fischreiher teilen.
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Ferner sind die blühenden Inselwiesen Landplatz für unzählige Gänse. Wir fahren mit dem Rad durch das wunderschöne Naturschutzgebiet. An vielen Stellen lassen wir das Rad am Wege stehen und gehen durch dicht bewaldetes Gebiet hinunter zu den verschiedenen kleinen Seen. Nur selten begegnen uns andere Urlauber, überall herrscht tiefe Stille, nur unterbrochen von Vogelgezwitscher oder quakenden Fröschen. Auf diesen Wegen lässt die Natur in die grüne Seele des Niederrheins sehen.
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Immer wieder findet man schöne Aussichtspunkte auf der Strecke. So kann man aus kleinen Beobachtungshütten entdecken, was sonst verborgen bleibt – natürlich so weit entfernt, dass sich die Tiere nicht gestört fühlen. Nahezu 200 Vogelarten sollen hier leben und es sind auf dieser Insel einige Tiere und Pflanzen heimisch geworden, die man bereits für ausgestorben gehalten hatte. Nach einer ausgiebigen Besichtigung fahren wir danach noch die letzten Kilometer zum Gasthof Rheinfähre, welches am Rande des Naturschutzgebietes liegt. Aufgrund der warmen Temperaturen können wir in der herrlichen Abendsonne draußen zu Abend essen. Es ist schon recht spät, als wir nach einem wunderschönen Tagesausflug zurück zu unserer Ferienwohnung fahren.
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