2. Tag - Kalkar
Nach einer ruhigen Nacht und einem ausgiebigen Frühstück unter freiem Himmel vor unserer gemütlichen Ferienwohnung geht es nun aufs Fahrrad, um in Sternfahrten die Umgebung zu entdecken. Für unsere heutige Fahrt haben wir uns den Ort Kalkar ausgesucht. Als nie ans Netz gegangenes Atomkraftwerk „Schneller Brüter“ ist Kalkar uns noch gut in Erinnerung, doch lt. unserem Reiseführer hat der Ort mehr zu bieten, als diese alten Schlagzeilen.
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Unsere Radtour startet über Briten in Richtung Xanten. Wir fahren durch das Keveler Tor und vorbei am Xantener Kopfbahnhof. Dort, wo die Züge enden, knüpft der Alleenradweg an. Er führt über die alte Bahntrasse durch die niederrheinische Landschaft, verbindet Xanten mit dem Wallfahrtsort Marienbaum und führt uns bis zur Stadtgrenze Kalkar.
Nur die etwas Älteren können sich noch daran erinnern, wie es war, als zwischen Xanten und Kleve noch ein Zug verkehrte.
Die Schienen sind inzwischen umgewidmet worden - zum "Bahntrassenradeln“.
Dieser Radweg ist sehr gut zu befahren und hat über weite Strecken den Charakter einer Allee, daher wird er auch Alleenradweg genannt.
Das erste Stück des Alleenradweges von Xanten in Richtung Kalkar macht Lust auf mehr.
Die Hinweisschilder bieten eine gute Orientierung an den Abzweigungen des Radweges. So macht uns ein Hinweisschild auf die Bauernschaft Mörmter und das gleichnamige Kloster in nur 0,6 km aufmerksam. Für diesen Abstecher verlassen wir die Bahntrasse und fahren auf dem Jacobsweg bis zum Kloster. Kirche und Gebäude werden heute von der „Fazenda da Esperanca“ genutzt und bewirtschaftet. Ein kleines Cafe lädt am Nachmittag zur Einkehr. So wird die Rast für unsere Rückfahrt heute Nachmittag schon einmal eingeplant.
Wir beschließen es mit einem Blick auf das Klostergebäude für heute Morgen zu belassen und fahren wieder zurück auf die Bahntrasse.
Nach kurzer Fahrt finden wir wieder ein Hinweisschild, welches uns auf „Haus Balken“ aufmerksam macht. Wir stoppen und machen uns auf der Hinweistafel schlau. „Das Haus wurde erstmals 1419 urkundlich erwähnt. Zwischen 1590-98, während des niederländischen Befreiungskrieges wurde es zerstört und erst Anfang des 17. Jahrhunderts wieder neu errichtet. Das Haus steht seit 1987 unter Denkmalschutz und ist heute der Wohnsitz der Unternehmerfamilie Underberg. Es ist nicht öffentlich zugänglich. So bleibt uns nur ein Foto aus der Ferne.
Nach ca. 7 km auf dem Bahntrassenradweg stoppen wir vor einem liebevoll gestalteten Hinweisschild – es ist ein Stadtplan in besonderer Aufmachung.
Hier stellt sich der Wallfahrtsort Marienbaum mit seinen Sehenswürdigkeiten vor. Der Ort liegt zentral am linken unteren Niederrhein, genau in der Mitte zwischen Xanten und Kalkar.
Angetan von den Informationen wollen wir dem 2.000 Einwohner-Dorf einen Besuch abstatten. Schon vom Weiten können wir die mächtige Marienbaumer Wallfahrtskirche und den gut 50 Meter hohen Westturm erkennen.
Vorbei an dem Ehrenmal der Opfer beider Weltkriege radeln wir ins Zentrum des kleinen Ortes. Das Dorf Marienbaum ist heute nach Kevelaer der größte Wallfahrtsort am Niederrhein – wenn auch mit großem Abstand.
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Die Pilger verehren „Maria – Zuflucht der Sünder“ in der Wallfahrtskirche St. Mariä Himmelfahrt. Ursprünglich wurde sie gegen Seuchen wie die Pest und die Rote Ruhr angerufen. Im Marienaltar befindet sich noch heute das Gnadenbild der Gottesmutter Maria. Es ist eine niederrheinische Arbeit aus dem 14. Jahrhundert. Der Wallfahrtsort Marienbaum wurde ca.1430-1460 gegründet, als ein kranker Hirte eine Marienstatue in einem Baum findet und anschließend auf wundersame Weise gesund wurde. Schon wenig später pilgerte eine große Zahl von Kranken zu diesem Baum. Im Jahr 1441 wurde an dieser Stelle eine Kapelle errichtet.
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Aufgrund dieses Gründungsjahres beansprucht Marienbaum den Titel als „ältester aktiver Wallfahrtsort des Niederrheins“. Nachdem Maria von Burgund im Jahre 1460 ein Birgitten-Doppelkloster gründete, entstand um das Kloster herum der Ortskern von Marienbaum. Das Kloster existiert heute nicht mehr. Es wurde 1802 durch Napoleon säkularisiert. Nur die Abteikirche ist heute noch als Wallfahrtskirche St. Mariä Himmelfahrt erhalten. Nach der Besichtigung gönnen wir uns in diesem beschaulichen Ort noch einen Eiscafé, bevor es zurück auf dem Alleenradweg geht. Nur etwas weiter rheinabwärts bietet das kleine Städtchen Kalkar schon den nächsten lohnenden Halt und zwar an der Kalkarer Mühle am Hanselaer Tor. Kalkar war in der früheren Zeit und im Mittelalter von einer Stadtmauer mit 4 Stadttoren umgeben.
Das Hanselaer Tor, die Ostpforte der Stadt, war so baufällig, dass eine Instandsetzung nicht mehr lohnte. Ein Lederfabrikant einige sich mit der Stadt auf Abriss des Stadttores und man genehmigte ihm den Bau einer Loh-Mühle aus dem Abbruchmaterial in unmittelbarer Nähe des ehemaligen Stadttores. Mit einem unteren Umfang von fast 35 m, rund ein Meter dicken Wänden und einer Höhe von mehr als 27 m (ohne Flügel) gilt sie als die größte Mühle am Niederrhein.
Sie wurde besonders hoch gebaut, um über den Dächern der Stadt den Wind einfangen zu können. Mühle, Getreidespeicher und Müllerhaus sind seit 1985 ein denkmalgeschütztes Ensemble. Das Erdgeschoß sowie das benachbarte Kornhaus werden als Gaststättenbetrieb genutzt. Von hier ist es nicht mehr weit zum Stadtkern von Kalkar. Vor 800 Jahren an einem ausgetrockneten Rheinarm gegründet, hat der Ort seinen Charme bewahrt. Der Marktplatz zeichnet sich vor allem durch seine historischen Giebelhäuser aus. Das heutige Rathaus wurde um 1440 rund 200 Jahre nach der Stadtwerdung erbaut. Der massive dreigeschossige Backsteinbau mit Walmdach und achteckigem Mittelturm gilt als einer der bedeutendsten mittelalterlichen Bauten am gesamten Niederrhein.
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Der wirtschaftliche Erfolg während der Hansezeit schlug sich auch in mehreren imposanten Bürgerhäusern nieder, die das Stadtbild von Kalkar prägen. Bevor wir uns weitere Sehenswürdigkeiten in der Stadt ansehen, machen wir eine ausgiebige Mittagspause in einem der umliegenden Restaurants. Aufgrund der angenehmen Temperaturen können wir draußen sitzen und beobachten beim Essen das rege Treiben auf dem Marktplatz. Dieser Platz ist tatsächlich ein Kleinod. Er hat allen Kriegswirrten getrotzt und präsentiert sich im Glanz vergangener Jahrhundert. Von unserem Mittagstisch haben wir freie Sicht auf das Rathaus mit dem Kopfsteinpflaster und den schönen gut erhaltenen alten Giebelhäusern rund um den Markt.
Gut gestärkt besichtigen wir nach der Mittagspause die spätgotische St. Nikolai-Kirche. Kalkar besitzt mit dieser Kirche eine weit und breit einzigartig ausgestattete mittelalterliche Bürgerkirche aufgrund ihrer weltberühmten Schnitzaltäre.
Zehn mittelalterliche Altaraufbauten sind von den ehemals 18 noch ganz erhalten. Allein der Hochaltar zählt 208 geschnitzte Eichenfiguren.
Unmittelbar am historischen Stadtkern am Stadtgraben gelegen, schließt sich der Kalkarer Stadtpark an. Mit Ententeich, inklusive der Wasserfontäne, bietet er einen gelungenen Erholungsbereich mit Blick auf die St. Nicolai-Kirche.
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Ab hier beginnen wir unsere Rückfahrt. Der direkte Weg ist nicht unsere Sache und so fahren wir über schöne Feldwege, entlang bestellter Felder mit einem Ackerrandstreifen, auf dem Kornblumen, Klatschmohn und Kamille blühen.
Einen Fotostopp legen wir am Gedenkplatz der Pumpengemeinschaft Bruchweg ein.
Die am Niederrhein traditionellen Pumpengemeinschaften gehen auf die Zeit vor der Erschließung der Wohngebiete mit fließendem Wasser zurück. Damals gab es pro Straßenzug oder Häusergemeinschaft eine mechanische Wasserpumpe, mit der die Anwohner ihr tägliches Trinkwasser aus dem Grundwasser hochpumpen konnten.
Man traf sich nicht nur an der Pumpe, um das Trinkwasser für den Tag zu holen, gemeinsam wurden auch Familienfeiern begangen – und natürlich Brände bekämpft.
Mit der Erschließung der Wohngebiete hat sich die Bedeutung der Pumpennachbarschaften auf den sozialen Aspekt reduziert. So stehen wir hier auf einem eigens reservierten Grundstücksstreifen mit einer liebevoll betreuten Pumpe. Eingerahmt von zwei Bänken ein gemütliches Plätzchen zum Verweilen.
Es wunderschön so durch die Natur zu radeln und am Wegesrand immer wieder etwas Neues zu entdecken. In Sichtweite haben wir nun den Ortsteil Kehrum-Kalkar am unteren Niederrhein erreicht und finden wieder ein idyllisches Plätzchen am Radweg.
Der Gas- und Wasserinstallationsbetrieb Manfred Weber hat aufgrund seines 25-jährigen Betriebsjubiläums einen wunderschönen „Platz an der Quelle“ gestiftet. Die rustikale Tisch-Bank-Kombination lädt schon wieder zu einer Pause ein und bietet einen schönen Ausblick.
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Auf einer landschaftlich reizvollen Route haben wir bald schon wieder Marienbaum erreicht und stehen vor dem Heiligenhäuschen zu Ehren der Patronin, der Heiligen Brigitta von Schweden, das sich die St.-Birgitten-Bruderschaft zum 200-jährigen Bestehen geschenkt hat.
Im Mai 1993 wurde das Heiligenhäuschen eingeweiht und die Brigitten-Figur gesegnet.
Ein Vierteljahrhundert steht es in diesem Jahr schon an der Gabelung am Korte-Venns-Weg und man sieht dem schmucken Heiligenhäuschen die 25 Jahre nicht an.
Unser Fahrrad-Navi brachte uns entlang einiger Feldwege wieder zurück auf den Jacobsweg, auf dem wir bereits heute Morgen einen kurzen Abstecher gemacht hatten.
Wir fahren entlang des Jacobswegs und kommen wieder zum Kloster Mörmter, welches wir heute Morgen kurz besichtigt haben. Nun machen wir einen längeren Halt im angeschlossenen Klostercafé. Ein freundlicher Herr serviert uns leckeren Kaffee und Kuchen und leistet uns während unserer Rast Gesellschaft. So kommen wir ins Gespräch und erfahren einiges über die Nutzung dieses Klosters.
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Die Grundsteinlegung des Franziskanerklosters erfolgte 1921. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Kloster für Einquartierungen der Wehrmacht zweckentfremdet und im Februar 1945 als Lazarett für beinahe 800 verwundete Soldaten genutzt. Im gesamten Verlauf des Krieges verstarben dort ca. 80 Soldaten, welche auf dem Klostergelände beigesetzt wurden. Auch 4 Zivilisten aus dem Ort, die durch Kriegseinwirkungen zu Tode gekommen waren, wurden hier bestattet.
Eine Erinnerung an den Krieg behielt das Kloster mit dieser Kriegsgräberstätte. Im Jahre 1961 legte die Gemeinde Wardt mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge die jetzige Kriegsgräberstätte an. Im März 1965 wurde das Hochkreuz auf dem Friedhof aufgestellt. Es ist aus zwei mächtigen Steinblöcken zusammengesetzt und wiegt sieben Tonnen. Das Kloster wurde bereits im April 1945 erneut gegründet und diente ab 1977 den Ordensangehörigen als Alterswohnsitz. Seit 2009 wird das Kloster von der aus Brasilien stammenden katholischen Gemeinschaft „Fazenda da Esperanca“ genutzt.
Gestrauchelte junge Männer beginnen hier ein neues Leben, wie z.B. unser Gesprächspartner, den die Spielsucht in den Ruin getrieben hatte. Das ursprünglich aus Brasilien stammende Projekt existiert in Europa seit über 15 Jahren und umfasst dort mittlerweile elf Einrichtungen, zu dem auch dieses Kloster gehört. Es war eine interessante Begegnung und als wir zahlen wollten, erhielten wir keine Rechnung sondern sollten nur eine Spende in die bereitstehende Spendenbox geben.
Nun starten wir unseren letzten Abschnitt der Heimfahrt. Entlang der alten Bahntrasse, über dem Alleenradweg geht es zurück nach Xanten. Hier fahren wir noch entlang des Archäologischen Parks und bekommen so schon einen kleinen Einblick in die Zeit der Römer. Vor über 2000 Jahren wagten sie sich bis an den Niederrhein. Seit 1974 wird hier gegraben, um die Anlage der alten Römerstadt Colonia Ulpia Traiana zu erforschen. Da das Gelände seit dem Mittelalter kaum besiedelt wurde, können die Überreste der römischen Stadt erforscht und präsentiert werden.
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Im weitläufigen Grün des Parks vermitteln originalgetreue Nachbauten wie das Römische Stadttor, die Stadtmauer, Wohnhäuser und Badeanlagen, sowie der Hafentempel und das Amphitheater einen lebendigen Eindruck vom römischen Alltag in Germanien. Als wir zurück auf den Marktplatz von Xanten kamen, lag er im späten Licht der Abendsonne und grüßte uns einladend. Bei einem kühlen Getränk und einem leckeren Abendessen in der pittoresken Altstadt neigt sich ein abwechslungsreicher Radtag nach 53 km dem Ende.
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