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ecke2bc12                            Weißrussland im 22. Jahr nach Tschernobyl

Eindrücke, Empfindungen und Impressionen in Wort und Bild festgehalten

Lieber Besucher dieser Webseite, dieser Reisebericht ist etwas umfangreich geworden. Die vielfältigen und teilweise überwältigenden Reiseeindrücke haben es einfach nicht zugelassen, diesen Bericht zu kürzen. Sollte er ihnen zulang sein, dann schauen sie vielleicht später noch einmal vorbei. Schon jetzt aber vielen Dank für ihr Interesse.

1. Tag - 14. September 2008 - Hamm, Frankfurt, Minsk

2. Tag - 15. September 2008
Shlobin, Naturschutzgebiet Smytschek, Ankunft in Gomel

3. Tag - 16. September 2008
Siedlung Jantarnyj, Gomel - Schloss,
Fischerhaus von M.T. Kuksa

4. Tag - 17. September 2008
Gesundheitseinrichtungen in Wetka, gesperrte Zone, Museums für Volkskunst in Wetka

5. Tag - 18. September 2008
Abfahrt nach Nadeshda, Besichtigung der Stadt Bobrujsk, Ankunft in Nadeshda

6. Tag - 19. September 2008
Kindern in Nadeshda, Betrieb „Narotschanskie Sori“
 Landgut „Krasnitsa“

7. Tag - 20. September 2008
Minsk, Geschichtswerkstatt, Kunsthandwerkermarkt, Museum der Geschichte des Vaterländischen Krieges. Abschlussabend

4. Tag - 17. September 2008
Gesundheitseinrichtungen in Wetka, Fahrt in die gesperrte Zone,
Museums für Volkskunst in Wetka

Mittwoch, 17. September 2008, 9.00 Uhr, schon wieder liegt ein langer Tag vor uns. Die Fahrt führt uns heute nach Wetka, den gottgläubige Menschen aus Moskau zur Zarenzeit gegründet hatten und der Fahrer des Ford Transit wartet schon wieder auf uns. Wetka ist überwiegend auf Landwirtschaft sowie auf Milcherzeugung und Fleischproduktion ausgerichtet. Außerdem gibt es in Wetka eine Baumwollspinnerei und eine Weberei.

Der Kreis Wetka gehört zu den am meisten von der Tschernobylkatastrophe betroffen Regionen des Gebiets Gomel im Südosten von Weißrussland. Mehr als 70 Prozent des Verwaltungsbezirks Gomel wurden mit mehr als einem Curie pro qkm des besonders langlebigen Isotops Cäsium 137 (Halbwertzeit von 30 Jahren) belastet. In der Stadt Wetka liegt die Strahlenbelastung sogar bei 10 bis 15 Curie pro qkm.
Schon kurz nach der Katastrophe in Tschernobyl wurde im Kreis Wetka im Boden ein sehr hoher Jod-131-Gehalt (20.000 kBq/m2), Strontium-90- und Cäsium-137-Gehalt registriert.
Es gibt kein Stück Erde in diesem Landkreis, das nicht verstrahlt ist.

Dr. Nadja Zimina, Chefärztin des Krankenhauses in Wetka, sie wird uns heute den ganzen Tag begleiten, erwartet uns schon. Sie ist nicht nur Chefärztin des Krankenhauses, sie ist auch gleichzeitig verantwortlich für die Poloklinik, die wir gerade besuchen und alle anderen Gesundheitseinrichtungen in Wetka.
Polyklinik in Wetka

Stolz führt sie uns durch die neu renovierte Klinik. Bei der anschließenden Diskussion erklärt sie uns, dass große Flächen des Kreises (viele Dörfer) wegen der hohen Radioaktivität unbewohnbar sind und die übrigen Flächen nach wie vor hoch verstrahlt sind. Ein großer Teil der im Landkreis erzeugten Nahrungsmittel sind dementsprechend kontaminiert und belasten die menschliche Gesundheit.

Kranke Kinder in Nadeshda

Kinder die noch heute unter den Folgen von Tschernobyl leiden, erholen sich im Kinderzentrum Nadeshda.

Viele Erkrankungen, die mit der hohen Radioaktivität zusammenhängen und zu einer erheblichen Schwächung des Immunsystems führen, nehmen immer noch zu. Ca. 27.000 Bürger des Kreises mussten damals wegen der Radioaktivität umgesiedelt werden.
Seit 1986 hat sich die Bevölkerung halbiert. Vor allem junge und gut ausgebildete Menschen verließen die Region und zurück blieben die Alten. Um das Ausbluten der Region zu verhindern, wurden jetzt tausende von Neubürger angesiedelt, überwiegend aus Kasachstan. Als Anreiz dafür bekommen sie neue Häuser mit Gasanschluss.

Tschernobyl - der Name der weißrussischen Stadt hat auch 22 Jahre nach dem atomaren Super-GAU noch nichts von seinen Schrecken verloren ist unsere Meinung. Vor allem bei Kindern tickt die Zeitbombe der radioaktiven Verseuchung, die sie durch kontaminierte Lebensmittel auch weiterhin aufnehmen, denn Cäsium 137 wird noch für 300 Jahre in den oberen Bodenschichten bleiben und dadurch gelangt es auch in die Nahrungskette.

Auf die Frage, ob vermehrt Sterbefälle durch Schilddrüsenkrebs festgestellt wurden, kommt die Antwort: Es gibt keine Statistik. Auch über Fehlgeburten bzw. Missbildungen bei Neugeburten konnte man uns keine Auskunft geben. Dafür gibt es aber sehr gute Voruntersuchungen bei Schwangeren wo man so etwas im Frühstadium feststellen kann, erklärt man uns.

Ich hatte das Gefühl, dass man schon 22 Jahre nach Tschernobyl die Spätfolgen Verdrängen, Vergessen oder Verharmlosen will, obwohl man im Internet viele Statistiken über die Folgen und Spätfolgen finden kann.

Z. B. kann man auf den Internetseiten
der OTO HUG STRAHLENINSTITUT – MHM - (Ausgabe 2001) nachlesen:

In Belarus war bereits Ende 1990 die Inzidenz für Schilddrüsenkrebs bei Kindern gegenüber dem 10-Jahres-Mittelwert vor 1986 um das mehr als 30-fache erhöht. Die Behauptung der IAEA „keine mit Strahlung zusammenhängenden Gesundheitsstörungen" war zu diesem Zeitpunkt weder aus medizinischer noch aus wissenschaftlicher Sicht nachvollziehbar, denn sie stand im Widerspruch zu den bereits bekannten und dokumentierten Schilddrüsenkrebsfällen in Belarus. Im Jahr 1996, anlässlich des 10. Jahrestages der Tschernobyl-Katastrophe, wurden durch das britische Fernsehen BBC Zusammenhänge, Hintergründe und Urheber für diese bewusste Falschinformation der IAEA aufgedeckt.

Der stärkste Anstieg von Schilddrüsenkrebsfällen bei Kindern ist im Oblast Gomel aufgetreten, dem am höchsten radioaktiv belasteten Gebiet von Belarus. Die überwiegende Zahl der Kinder war zum Zeitpunkt des Unfalls jünger als 6 Jahre, mehr als die Hälfte waren jünger als 4 Jahre. Im Jahr 1995 wurde der Höchststand in der Neuerkrankungsrate an Schilddrüsenkrebs bei Kindern (0-14 Jahre) in Belarus erreicht. Bereits frühzeitig war das aggressive Wachstum und die rasche Metastasierungsneigung in andere Organe (vor allem in die Lunge) festgestellt worden. Die aufgetretenen Fälle wurden fast ausschließlich als papilläre Schilddrüsenkarzinome identifiziert.
Der Verlauf der Inzidenz der Schilddrüsenkarzinome bei den Kindern in Belarus nimmt nach dem Jahr 1995 wieder ab. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Zahl der Schilddrüsenkarzinome insgesamt rückläufig wäre. Der Effekt kommt dadurch zustande, dass mit zunehmender zeitlicher Distanz zum Unfallzeitpunkt immer mehr der damals radiojod-exponierten Kinder zu Jugendlichen und Erwachsenen werden. Sie nehmen ihr Karzinomrisiko - das sie für den Rest ihres Lebens nicht mehr ablegen oder loswerden können - in die höheren Altersgruppen mit.

Vergleich der Beobachtungszeiträume 13 Jahre vor und 13 Jahre nach dem Reaktorunfall.

Altersstufe

1973-1985

1986-1998

Zunahme

018

7

407

58-fach

19-34

40

211

5,3-fach

35-49

54

326

6-fach

50-64

63

314

5-fach

64

56

146

2,6 -fach

Die Stimmung bei uns ist bedrückend und es sollte noch schlimmer kommen, denn nun fahren wir in eine Ortschaft im stark verstrahlten Gebiet hinter Wetka. Auf einer, wie mit dem Lineal gezogenen Straßen, links und rechts wechseln sich Kiefern- und Birkenwälder ab, geht es in Richtung gesperrte Zone.

Plötzlich stehen wir vor einer geschlossenen Schranke, wir haben die Grenze zur Sperrzone erreicht und nur mit spezieller Genehmigung darf man diese verbotene Zone betreten. Dr. Nadja Zimina, Chefärztin des Krankenhauses in Wetka, die uns auch hier begleitete, hatte solch eine Genehmigung und wir konnten anstandslos weiterfahren.

Die Gegend in die wir von nun ab kommen ist beachtlich kontaminiert. Wieder schaue ich auf meine Strahlenkarte und sehe nur noch dunkelrote Flächen, das heißt, wir befinden uns in einem Gebiet, das mit mehr als 40 Curie/km Cäsium-137 belastet ist.

Wir fahren weiter zwischen lichten Wäldern und Wiesen, links und rechts laden immer wieder Rastplätze mit bunt gestrichenen Holzbänken zum Verweilen ein. Doch die Idylle täuscht, überall warnen die Schilder mit dem Symbol „Radioaktivität“ davor, den Wald hier zu betreten. mit hübschen handgeschnitzten Fensterrahmen, bescheidenen HolzbehausungVom Auto aus betrachtet wirkt eigentlich alles ganz normal, es herrscht eine gespenstische Stille. Doch dann passieren wir die ersten verlassenen Wohnblocks, sehen vor uns einen Ort mit verlassenen und zerfallenen Häusern, nur der Wind fegt einiger Blätter und Blüten durch die leeren Straßen.

Noch immer leben Menschen hier in der radioaktiv verseuchten Zone und bauen Gemüse an und füttern ihre Hühner und Gänse.

Mütterchen und VäterchenWir halten an einer, mit hübschen handgeschnitzten Fensterrahmen, bescheidenen Holzbehausung an.
Es empfängt uns eine alte Dame mit ihrem Mann, sie gehören zu den letzten Einwohnern dieses Ortes und bitten uns in ihre Wohnung.
Manche „Alten“ wie dieses Mütterchen und Väterchen sind hier geblieben.
Man nennt sie die widerspenstigen Alten, da sie ihre Heimat nicht verlassen wollen.

bescheidene, ohne Strom und Wasser, aber dennoch schönen WohnungEinige die damals in den unverstrahlten Norden und Osten, in Hochhäusern, mit maximal 30 qm für eine Familie, Gemeinschaftstoilette und keine Heizung, umgesiedelt wurden, sind zurückgekommen. Sie hielten es dort nicht aus. Lieber in der geliebten Heimat etwas früher sterben, als lebenslang in diesen Hochhäusern, weit weg von dem Geburtsort vegetieren.
Stolz führt uns das Mütterchen in ihre bescheidene, ohne Strom und Wasser, aber dennoch schönen Wohnung. Überall auf dem Sofa liegen wunderschöne, selbst gemachte Kissen.

In der Zwischenzeit zeigt mir ihr Mann seinen Garten, seinen selbst geernteten Tabak und wie er sich mit Zeitungspapier daraus eine Zigarette dreht. Das Obst und Gemüse, auch der Tabak, der hier im Garten wächst, ist stark belastet und streng genommen Sondermüll.
 Gesperrte Zone - Tabak1
Überall liegen oder stehen uralte Gartengeräte, die eigentlich ins Museum müssten. Anschließend führen uns beide, die Nachbarin hat sich inzwischen auch eingefunden, in den Stall und zeigt uns ihre Kuh mit Kälbchen. Beim Herausgehen sehen wir im Nebenraum auf einer Liege einen Mann im Delirium. Es ist der arbeitslose Sohn erzählt uns Nastasia, unsere Dolmetscherin.
gesperrte Zone - uralte Gartengeräte, die eigentlich ins Museum müssten
Hinter dem Haus, etwas weiter nördlich, kann man noch den verfallenen Ort sehen. Die Häuser sind verlassen, umwachsen von hohen Gräsern, Farne, Sträuchern und Bäumen, ein Geisterdorf. Eine gespenstische Stille liegt über diese Landschaft. Statt Lärm und Hektik herrscht plötzlich angenehme Ruhe. Wie lange es wohl dauert, bis sich die Natur zurückerobert hat, was wir Menschen uns von der Natur nur geliehen haben? Hier sieht man wieder ganz deutlich: „Die Natur kann ohne uns Menschen auskommen – der Mensch aber nicht ohne die Natur“.
gesperrte Zone - Ruinen - 2

Wir steigen wieder in den Bus, fahre zurück nach Wetka. Kaum einer spricht, es ist schwer die Stimmung zu beschreiben, wir sind einfach fassungslos über das gerade Erlebte.

Dr. Nadja Zimina will uns noch ihr Krankenhaus zeigen, wo sie ja Chefärztin ist. Stolz präsentiert sie die vor einiger Zeit neu renovierten Labors, Krankenzimmer, Kinderabteilung und den mit modernen Geräten ausgestatteten Operationssaal sowie die Behandlungsräume.

Wetka - Krankenhaus - KinderabteilungMehr als 500 Initiativen in Deutschland, vor allem Kirchliche, leisten Tschernobylhilfe. Die Männerarbeit der evangelischen Kirche im Rheinland unterhält z. B. seit 1991 eine Partnerschaft mit der Krankenversorgung im Kreis Wetka, erzählt uns Dr. Nadja Zimina.
Sie sammeln Spenden und liefern Medikamente, Verbandsstoff, medizinische Geräte, Kindernahrung und OP-Bedarf. Außerdem haben sie den Um- und Ausbau des Krankenhauses unterstützt, das Labor und Intensivstation renoviert, ein mobiles Ultraschallgerät gekauft und neue Tische und Stühle angeschafft.

Am Nachmittag besuchen wir dann noch das Museum für Volkskunst in Wetka, das weit über die Grenzen von Belarus bekannt ist. Das Museum zieht zahlreiche Touristen an, denn seine einmalige Sammlung reicht von alten Ikonen über Bücher bis zu gemusterten Handtüchern. Im Museum von Wetka wird „Anfologion“ aufbewahrt, das erste Kiewer Buch, das 1619 herausgegeben wurde. Nicht einmal das Buchmuseum von Kiew hat ein Exemplar davon.
Museum für Volkskunst in Wetka 1

Das geschnitzte Tor des Museums hat die örtliche Tradition, Häuser zu schmücken, fortgesetzt. Das Schnitzwerk ist von den Mitarbeitern des Museums unter der Leitung von Fjodor Schkljarow 1987 gemacht worden.

Das Museum entstand aus einer persönlichen Sammlung von Fjodor Schkljarow, seinem ersten Direktor (1925 – 1988). Die Ausstellung wurde 1987 in einer umgebauten Kaufmannsvilla eröffnet. Alle Holzarbeiten, außen und innerhalb des Gebäudes (Tore, Türen usw.) sind von den Mitarbeitern des Museums selbst geschnitzt worden.

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1. Tag - 14. September 2008 - Hamm, Frankfurt, Minsk
2. Tag - 15. September 2008 - Shlobin, Naturschutzgebiet Smytschek, Ankunft in Gomel
3. Tag - 16. September 2008 - Siedlung Jantarnyj, Gomel, Schloss Rumjantsew-Paskewitsch, Fischerh. M.T. Kuksa
4. Tag - 17. September 2008 - Gesundheitseinrichtungen in Wetka, gesperrte Zone, Museums für Volkskunst in Wetka
5. Tag - 18. September 2008 - Abfahrt nach Nadeshda, Besichtigung der Stadt Bobrujsk, Ankunft in Nadeshda
6. Tag - 19. September 2008 - Kindern in Nadeshda, Betrieb „Narotschanskie Sori“, Landgut „Krasnitsa“
7. Tag - 20. September 2008 - Minsk mit Geschichtswerkstatt, Kunsthandwerkermarkt und Museum der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges. Abschlussabend

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